Uwe Rodig:
Bevölkerungsgeschichtliche Quellen im Vorpommerschen Landesarchiv Greifswald

(Vorträge zur mecklenburgischen Familienforschung, Heft 5, 1955, gehalten vom 15. bis 18. September 1995 auf dem 47. Deutschen Genealogentag in Neubrandenburg, S.55-60)



Das Vorpommersche Landesarchiv Greifswald verwahrt nicht nur Archivgut aus dem Landesteil Vorpommern, sondern auch aus den hinterpommerschen Gebieten. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde durch den Kriegsverlauf ein Teil der Bestände des damaligen Provinziaiarchivs Stettin nach Vorpommern evakuiert. Nach Kriegsende wurden diese geborgen und in dem 1946 gegründeten Landesarchiv Greifswald deponiert. Nach dem Abschluß der Bergungsmaßnah.men aus den Auslagerungsorten erfolgten umfangreiche Archivgutübernahmen von den aufgelösten staatlichen und kommunalen Behörden, die bis 1945 in Vorpommem angesiedelt waren. Es waren vor allem die Akten der Landratsämter und Kreisausschüsse, der Justizbehörden der Stadtverwaltungen sowie der Kataster-und Grundbuchämter. Auch wurden ehemalige Guts- und Familienarchive während dieser Zeit mit übernommen.

Die Gesamtheit der Archivalien pommerscher Provenienz enthält eine große Anzahl bevölkerungsgeschichtlicher Quellen, so daß eine ernsthafte Familienforschung nicht an den Beständen des Landesarchivs vorbeigehen kann. Weitere Unterlagen pommerscher Herkunft, die auch genealogische Forschungsmöglichkeiten bieten, befinden sich im Wojewodschaftsarchiv Stettin, im Evangelischen Zentralarchiv Berlin, in der Zentralstelle für Genealogie in Leipzig, im Reichsarchiv Stockholm sowie im Archiv der Evangelisch-Pommerschen Landeskirche in Greifswald.

Der archivkundige Familienforscher weiß, daß bei einer Archivbenutzung zeitliche und territoriale Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. Wer seine Vorfahren sucht, die zu Zeiten der Pommerschen Herzöge gelebt haben, muß andere Bestände einsehen als derjenige, dessen Ahnen im späteren Schwedisch-Pommern oder im preußischen Hinterpommern lebten. Über alle Bestände des Landesarchivs, die Quellen zur Bevölkerungsgeschichte enthalten, kann an dieser Stelle nicht berichtet werden. Diese Aufgabe kann nur durch die Veröffentlichung einer Bestandsübersicht, die den Gesamtbestand eines Archivs erschließt, erfüllt werden. Vorgestellt werden nur die Bestände oder Teile von ihnen, die für den Familienforscher einen besonders hohen lnformationswert besitzen.



Die ältesten Quellen im Landesarchiv sind die mittelalterlichen Urkunden der Fürsten von Rügen, der Herzöge von Pommern, des Bistums Kammin, der Klöster und Städte sowie des pommerschen Adels. Diese Urkunden sind seit dem 12. Jahrhundert überliefert, als die einheimischen Fürsten und die neugegründeten Klöster deutsche Adlige, Bauern, Handwerker und Kaufleute aus dem alten Reichsgebiet in das unkultivierte Land riefen. Die mehr als 10.000 Urkunden zeugen von der erfolgreichen Besiedlung Pommerns und dokumentieren die Rechtsgeschäfte der nachfolgenden Generationen. Der Inhalt dieser Urkunden bzw. die in diesen Dokumenten verzeichneten Personennamen sind in den Pommerschen Urkundenbüchern bis zum 14. Jahrhundert erschlossen. Von den nachfolgenden Urkunden liegen im Landesarchiv Regesten und Namensregister vor.


Die früheste aktenmäßige Uberlieferung beginnt mit dem Bestand des Herzoglich-Wolgaster Archiv. Seine Akten geben Aufschluß über die Verwaltung des Herzogtums Pommern-Wolgast vom Ende des 15. Jahrhunderts an bis zum Erlöschen des pommerschen Herzoghauses im Jahre 1637. Wichtige Unterlagen zur Bevölkerungsgeschichte enthalten die in diesem Bestand befindlichen Amter- und Städtesachen sowie die Lehnsangelegenheiten. Die Akten des Rügenschen Landvogteigerichts betreffen die Bevölkerung der Insel Rügen. Sie bilden eine reich fließende Quelle für die Geschichte des rügenschen Adels. Aber auch der nicht dem Adel angehörende Teil der Inselbevölkerung findet in den Unterlagen Beachtung. Bei den Gutsverkäufen sind auch die Untertanen mit erfaßt worden, oft mit Angabe der Geburtsnamen der Ehefrauen und der genauen Aufzahlung der Kinder mit ihren Rufnamen. Die Akten sind von 1540 bis 1740 überliefert und durch eine Namenskartei erschlossen.


Im Westphälischen Frieden von 1648 wurde Pommern getrennt. Vorpommern geriet unter schwedischer Verwaltung, während in Hinterpommern brandenburgisch-preußische Behörden eingerichtet wurden. Besonders aus Schwedisch-Pommern sind im Landesarchiv zahlreiche Bestände überliefert.

Eine wichtige farniliengeschichtliche Quelle ist hier zweifellos die Schwedische Landesmatrikel, die zwischen 1692 und 1705 angefertigt wurde. Um genaue Daten für die Steuerfestsetzung zu erlangen, wurde das gesamte schwedisch-pommersche Territorium vermessen, kartographiert und beschrieben. 1500 farbige Matrikelkarten und 74 Beschreibungsbände bilden heute eine Forschungsgrundlage für viele Wissenschaftsbereiche. Erfaßt wurden darin fast alle steuerpflichtigen Einwohner des Landes mit Angaben über ihre Besitzverhältnisse und ihrer sozialen Stellung. Die größeren Städte Stettin, Stralsund, Greifswald, Wolgast und Anklam wurden separat vermessen und beschrieben. Die Protokollbände, die bis auf den der Stadt Anklam überliefert sind, weisen nicht nur die Steuerzahler namentlich aus, sondern beschreiben ihre Wohnverhältnisse und geben Angaben zu ihren Berufen. Die in der Schwedischen Landesmatrikel verzeichneten Personen hat Herr Schubert zum großen Teil erfaßt und veröffentlicht.1

1. Siehe: Quellen und Schriften zur Bevölkerungsgeschichte Norddeutschlands. Als Vertreter des Königreichs Schweden wurden in Vorpommern Generalgouverneure eingesetzt. Der aus der Tätigkeit dieser Personen erwachsene Aktenbestand Schwedischer Generalgouverneur besitzt zwar keinen großen Umfang, enthält jedoch eine Vielzahl familiengeschichtlicher Informationen. Besonders ergiebig sind die darin vorhandenen Generalmusterrollen deutscher Regimenter Schwedens von 1791—1807. Diese enthalten die Namen, Geburtsdaten, Wohnorte und Berufe der Angehörigen der Regimenter Psilanderhielt, Engelbrecht und Drottning. Unter der Bezeichnung Schwedisches Archiv wurden die Akten der schwedischen Regierung zusammengefaßt, die von 1648 bis 1715 ihren Sitz in Stettin hatte. Sie enthalten ebenfalls umfangreiche familienkundliche Unterlagen. Hervorzuheben sind die in diesem Bestand vorhandenen Aktengruppen Äntersachen, Kirchenmatrikel, Visitationen, Kontributionen, Hufenmatrikel, Städtesachen und lnnungsangelegenheiten.

Durch die ständigen Kriege Schwedens mit Brandenburg, Polen und Dänemark mußte Schweden nach einer militärischen Niederlage im Stockholmer Frieden 1720 alle Gebiete Vorpommerns südlich des Peene-Flusses abtreten. Es entstand das Territorium Schwedisch-Neuvorpommern mit Sitz der Regierung in Stralsund. Aus der Regierungszeit von 1720 bis 1815 ist der Bestand der Schwedischen Regierung Stralsund überliefert. Darin sind besonders die Aktengruppen Ämtersachen sowie die Städte- und lnnungsangelegenheiten für den Familienforscher wichtig. Auch die aus der Schwedenzeit stammenden Bestände des Tribunals Wismar mit Prozeßakten von 1653—1815, des Schwedischen Lehnsarchivs mit den Akten über die Adelsgüter von 1721 —1815 und des Kriegsgerichts Stralsund mit Musterrollen über neuangeworbene Mannschaften von 1700—1815, sind für familienkundliche Forschungen überaus lohnend.

Die Bevölkerung Hinterpommerns ist für die Zeit von 1654 bis 1806/15 in den Akten der brandenburgisch-preußischen Behörden vielfältig vertreten. Hervorzuheben ist hier besonders der Bestand der Hinterpommerschen Regierung von 1654 bis 1805. Die hinterpommersche Regierung hatte die Regierungsvollmachten bis zum Jahre 1723 inne, danach fungierte sie als Justizbehörde. Aussagekräftig sind darin die Aktengruppen Militarwesen, lnnungsangelegenheilen sowie die zahlreichen Prozeßakten.

Familiengeschichtlich bedeutungsvoll sind auch die Protokolle der Hinterpommerschen Hufenklassifikation von 1717 bis l7l9. Sie enthalten die Namen tausender bäuerlicher Untertanen von adligen Gütern, Amtsdörfern und städtischen Eigentumsdörfern der Ämter und Kreise Neustettin, Pollnow, Polzin, Regenwalde, Labes, Greifenberg, Stolp, Rummelsburg, Naugard, Daber, Saatzig, Pyritz, Wollin, Kammin und Greitenhagen. Auch die Namen der steuerpflichtigen Einwohner der Städte Bärwalde, Daber, Freienwalde, Labes, Massow, Naugard, Plathe, Pollnow, Polzin, Regenwalde, Rummelsburg und Wangerin sind aus dem betreffenden Zeitraum überliefert.

Im Bestand der Pommerschen Kriegs- und Domänenkammer befinden sich für die Zeit von 1723 bis 1806 ergiebige Quellen zu den bäuerlichen Vorfahren. In den Prästationstabellen sind die Amtsbewohner, die Amtspächter und die ländlichen Handwerker verzeichnet. Zahlreiche Akten belegen die Ankunft von Pfälzerkolonisten in Pommern und die Anlegung neuer Kolonien unter dem preußischen König Friedrich II.

Im Jahre 1815 übergaben die Schweden in Folge des Wiener Kongresses Neuvorpommern an Preußen, somit war ganz Pommern wieder unter einer Herrschaft vereint. Pommern wurde eine preußische Provinz mit den drei Regierungsbezirken Stralsund, Stettin und Köslin. Von den preußischen Verwaltungsbehörden sind im Landesarchiv ebenfalls umfangreiche Bestände vorhanden. Die Akten der Preußischen Regierung Stralsund2 umfassen die Kreise Greifswald, Grimmen, Franzburg und Rügen. Die Abteilungen Kirchenwesen, SchulangeIegenheiten, Domänen und Forsten können für jede Familienforschung von Bedeutung sein, wenn man die Akten über die Anstellung von Predigern, Lehrern und Förstern und Pächtern einsieht. Detaillierte Aufstellungen über die Auswanderung von Einwohnern aus dem Regierungsbezirk Stralsund sind von Familienforschern häufig genutzte Quellen dieses Bestandes. Auch die Akten über die Aufnahme von Personen in den preußischem Staatsverband sind sehr aufschlußreich. Weitere Bestände, die genealogische Informationen enthalten, sind die des Oberpräsidiums von Pommern von 1815 bis 1933 und des Polizeipräsidiums von Pommern von 1815 bis 1934. In den Akten des Bestandes der Schiffahrtsdirektion Stettin sind Passagierlisten von den Schiffen vorhanden, die Auswanderer im 19. Jahrhundert von Stettin nach Amerika beförderten. Der Bestand des Provinzialschulkollegiums Stettin von 1809 bis 1930 enthält umfangreiche Angaben zur pommerschen Lehrerschaft.

2. Der Regierungsbezirk Stralsund wurde 1932 aufgelöst. Die Verwaltung von Vorpommern übernahm die Regierung Stettin. Die Akten dieser Behörde befinden sich im Woiewodschaftsarchiv Stettin.

Auch die Bestände der preußischen Justizverwaltungen, besonders die der Amtsgerichte, beinhalten ergiebige familiengeschichtliche Quellen. Die in den Amtsgerichtsbeständen vorhandenen Kirchenbuchduplikate aus dem 19. Jahrhundert, die aus dem Kreisen Anklam, Greifswald, Greifenberg, Naugard, Pyritz, Saatzig und Usedom-Wollin stammen, sind grundlegende familiengeschichtliche Dokumente. Die Amtsgerichte Barth, Gartz/Oder, Greifswald, Pasewalk und Stralsund enthalten tausende Testamente aus dem 19. Jahrhundert, die ganz konkrete Angaben zur Person bzw. zur Familie des Erblassers aufweisen.


Neben den Beständen der staatlichen pommerschen Verwaltungen sind zahlreiche vor- und hinterpommersche Kommunalbestände, Innungsarchive, Familien- und Gutsarchive sowie genealogische Sammlungen vorhanden. So bieten die mehr als dreißig Bestände der vor- und hinterpommerschen Stadtverwaltungen inhaltsreiches Material für die Familienforschung. Die städtischen Einwohnerverzeichnisse, Steuerlisten, Kämmereiregister und Stammrollen können der bevölkerungsgeschichtlichen Forschung gute Dienste leisten. In den Stadt- und Bürgerbüchern sind Angaben zu Bürgerrechtsverleihungen und Grundbesitzverhältnisse zu finden. Uberlieferungen größeren Umfangs sind über den öffentlichen Dienst sowie über das städtische Handwerk vorhanden.


Einen erheblichen personengeschichtlichen Wert besitzt das Archivgut der Innungen. Zu erwarten sind darin Mitgliederverzeichnisse, Amtsbücher, Meisterbücher sowie Geburts- und Lehrbriefe. Von folgenden Innungen sind Uberlieferungen vorhanden:

Unter den im Landesarchiv Greifswald vorhandenen Nachlässen ist der Nachlaß des Heimatforschers Otto Bruchwitz hervorzuheben. Die mehr als einhundert Bände sind das Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit, sie enthalten vor allem Unterlagen über die Bevölkerung das Kreises Ückermünde aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Zusammengefaßte Daten sind in den Kirchenbuchabschriften sowie in den Geschlechterbüchern über die Glasmacherfamolien dieser Region vorhanden.


Während der Familienforscher mitunter aufwendige Untersuchungen in den Akten der staatlichen und kommunalen Verwaltungsbehörden betreiben muß um einen Ahnen zu ermitteln, sind in den Nachlässen bzw. genea!ogischen Sammlungen bereits komprimierte Informationen über ganze Generationen vorhanden. So ist auch der Nachlaß des Heimatforscher Willy Dumrath ein fast lückenloser Nachweis der Bevölkerung der Rügener Halbinsel Mönchgut. Der Verfasser zeigte von Jugend an großes Interesse für die Sippenforschung. Seinen Wunsch, einmal die gesamte Bevölkerung Mönchguts zu erfassen und zur Darstellung zu bringen, hat er nach vielen Jahren verwirklichen können. In den vorliegenden Mönchguter Sippenbüchern sind alle Bewohner von Mönchgut erfaßt, die von 1574 bis 1943 in Akten, Kirchenbüchern und Standesamtsregistern Erwähnung finden.


Viele Familienforscher bemühen sich, die Bereiche Familienforschung und Heimatgeschichte zu verbinden. Die Einbindung des Menschen in den Ort, in die Region und Geschichte schafft die Voraussetzung, ihn in seinem sozialen Umfeld zu sehen. Die im Landesarchiv vorhandenen Quellen ermöglichen das wechselseitige Durchdringen von Familienforschung und Heimatgeschichte. Sie helfen auch bei der Beantwortung der Fragen nach der Dichte der einstigen Besiedlung und der Dauer der Ansässigkeit unserer Vorfahren. So enthalten z.B. die beschriebenen Bestände der Hinterpommerschen Hufenklassifikation und der Schwedischen Landesmatrikel zahlreiche Angaben zu diesem Problemkreis. Ein spezieller Bestand, der die Familienforschung "lebendig" werden läßt, ist der des Provinzialkonservators von Pommern. Er beinhaltet tausende fotographische Aufnahmen von historischen Bauwerken, die sich in den Städten und Dörfern der Provinz Pommern befanden. Hier kann der Familienforscher Stadt- und Dorfansichten finden, die seinen Vorfahren vertraut waren.

Die Benutzung dieser Bestände gestaltet sich unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht einfach. Die Gesetze über die Vertriebenenentschädigung, Rückführung von Eigentum sowie über die Rehabilitierung von Personen, die zu DDR-Zeiten verfolgt oder benachteiligt wurden, prägen zur Zeit die Archivarbeit. Die im Benutzersaal vorhanden Plätze sind Monate voraus durch Voranmeldungen ausgebucht. Schriftliche Anfragen, die die Familienforschung betreffen, können nur bearbeitet werden, wenn die Recherchezeit eine Arbeitshalbstunde nicht überschreitet.


Anschrift des Verfassers:
Uwe Rodig
c/o Vorpommersches Landesarchiv
Martin-Andersen-Nexö-Platz 11
D-17489 Greifswald
Tel. (038 34) 7 72 86


Bereitgestellt von: Studienstelle Ostdeutsche Genealogie (insbes. Pommern und Pommerellen)
der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund

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