Die Organisation der Sippenforschung in Pommern
von Gerhard Wex
Unser Pommerland 1934 Heft 7/8, S.372-374
372Vor wenig mehr als einem Dutzend Jahre trat eine Anzahl bewährter Sippenforscher in Stettin zur Pflege ihrer gemeinsamen Interessen und Bestrebungen zusammen. Nicht darum handelte es sich, den zahlreichen Vereinen der Großstadt einen weiteren hinzuzufügen, der den Mitgliedern Unterhaltung und Anregung bieten sollte; sondern als Ziel schwebte jenen Männern vor Augen der Zusammenschluß der in Pommern ansässigen Sippenforscher zu einem festen Verbände, der es sich zur Aufgabe stellte, die Sippenforschung nicht nur in den eigenen Reihen zu fördern, sondern die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen allen Volksgenossen dienstbar zu machen, eine Aufgabe, die nur in ernster Arbeit und selbstloser Hingabe zu erfüllen war.
Die Neuheit und die Schwierigkeit der Aufgabe ließ den Anschluß an einen schon vorhandenen, größeren Verband ratsam erscheinen. So wurde der neue Verein als „Pommersche Landesgruppe" des Vereins „Roland (Verein für Stamm- und Wappenkunde)" in Dresden gegründet. Auch unter dem später gewählten Namen „Pommersche Vereinigung für Stamm- und Wappenkunde" blieb der Verein Orts- bezw. Landesgruppe des Vereins „Roland".
Das Protektorat des alten und bedeutenden Dresdener Vereins mit seinen reichen archivalischen Schätzen und Hilfsmitteln bewährte sich in den ersten Jahren des jungen pommerschen Vereins vollauf. Mit Hilfe des „Roland“ war es möglich, im Jahre 1926 in Stettin eine familienkundliche Ausstellung ins Leben zu rufen, mit der der Stettiner Verein nicht bloß zum ersten Mal vor die große Öffentlichkeit trat, sondern ihr auch etwas völlig Neues bot. Die musterhaft gegliederte und geordnete Ausstellung gab in 7 großen Abteilungen einen ausgezeichneten Ueberblick über alles, was den Sippenforscher irgendwie interessiert, von der Literatur über Familiennamen angefangen bis zur Darstellung der Wappen, Siegel, Hausmarken und Exlibris, alles aufgezählt in einem sehr sorgfältig ausgearbeiteten und mit einem geschichtlichen Anhang versehenen Katalog, der zugleich den inneren Zusammenhang der ausgestellten Gegenstände aufzeigte. Diese Ausstellung, die sich eines sehr regen Besuches zu erfreuen hatte, wurde zu einem vollen Erfolg, indem sie die Leistungsfähigkeit des jungen Vereins in hellem Lichte 373zeigte und ihm zahlreiche neue Freunde zuführte.
Nicht weniger erfolgreich war die mehr nach innen gerichtete Tätigkeit des Vereins. Von Anfang an war Wert gelegt worden auf den ernsten, wissenschaftlichen Charakter der Vereinsarbeit. Seine monatlichen Versammlungen sollten nicht bloß der Aussprache über allgemein interessierende Fragen dienen, sondern es sollte mit ihnen in der Regel ein wissenschaftlicher Vortrag verbunden werden, ein Grundsatz, an dem bis zur Gegenwart festgehalten worden ist. Auf diese Weise ist und wird den Mitgliedern Gelegenheit gegeben, sich über grundlegende Fragen der Sippenforschung zu unterrichten und ihren Gesichtskreis über den Rahmen der eigenen Erfahrungen hinaus zu erweitern. Daß unter den Rednern ab und zu auch auswärtige Sippenforscher ersten Ranges erscheinen, sei nur nebenbei erwähnt. Die Versammlungen finden regelmäßig am 2. Donnerstag jeden Monats im Pommerschen Landesmuseum, Luisenstr. 28, statt.
Ein nicht geringer Teil der Vereinsarbeit besteht in der Bearbeitung von Anfragen und in der Beratung von Mitgliedern oder auch von Außenstehenden bei ihren Forschungen; und zwar wird bei weitem der größte Teil dieser Arbeit unentgeltlich geleistet. Hunderte von Arbeitsstunden werden im Laufe eines Jahres hierzu verbraucht, die sich auf verhältnismäßig wenige, besonders aktiv veranlagte Vereinsmitglieder verteilen. Daß diese Stunden oft der knapp bemessenen Erholungszeit, der Sonntagsmuße, dem Familienleben abgerungen werden mußten, ahnt der Empfänger der Auskunft freilich für gewöhnlich nicht. Wenn er aber, wie es nicht selten vorkommt, es nicht einmal für nötig hält, ein Wort des Dankes für die aufgewendete Mühe und Zeit folgen zu lassen, so weiß man nicht, ob man sich mehr über seine Gedankenlosigkeit oder über seine schlechte Erziehung wundern soll. Auch das Porto für die erbetene Antwort beizufügen, wird oft unterlassen, obschon heute doch jeder, der eine schriftliche Antwort erwartet, daran gewöhnt sein sollte, sich zu fragen, ob dem Antwortenden die Tragung des Portos zugemutet werden kann. Aber auch solche unerfreulichen Erfahrungen mit unhöflichen oder unüberlegten Volksgenossen vermögen nicht davon abzuschrecken, Zeit und Arbeitskraft immer wieder in den Dienst derer zu stellen, die auf dem Gebiete der Vereinsarbeit Nat und Hilfe begehren.
Die Erschließung familiengeschichtlicher Quellen ist eine weitere, wichtige Aufgabe des Vereins. Private Initiative einzelner Forscher war schon vorher an die Verzettelung von Kirchenbüchern und von Gelegenheitsschriften, deren die Stettiner Stadtbücherei 2 große Sammlungen besitzt, herangegangen. Während die Verzettelung von Kirchenbüchern bei dem gewaltigen Umfange des Stoffes nur ganz allmählich fortschreiten kann, ist die Verzettelung der beiden Sammlungen von Gelegenheitsschriften durchgeführt und ihr Ergebnis in 2 Zettelkatalogen niedergelegt, die sich in der Stettiner Stadtbücherei befinden. Eine große Anzahl von Ahnenlisten und Stammtafeln pommerscher Geschlechter, ferner eine Wappensammlung, eine Siegelsammlung und eine allerdings erst in den Anfängen begriffene allgemeine pommersche Namenskartei bilden wertvolle Bestandteile der Vereinsbücherei, die in den Räumen der Stettiner Stadtbücherei untergebracht ist.
Seit dem Herbst 1933 gibt der Verein eine eigene Zeitschrift unter dem Titel „Familiengeschichtliche Mitteilungen" heraus, die zunächst in vierteljährlicher Folge erschienen ist, künftig aber häufiger herausgebracht werden soll. Die Zeitschrift wird auf grund eines Abkommens mit der „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde" deren „Monatsblättern" beigelegt, außerdem noch gesondert in etwa 100 Stücken versandt und somit in einer Gesamtauflage von rund 1800 Stücken verbreitet. Sie bringt teils wissenschaftliche Aufsätze, teils Quellennachweise.
Außer mit der eben erwähnten historischen Gesellschaft und der zuvor erwähnten Stettiner Stadtbücherei steht der Verein mit dem Staatsarchiv der Provinzialhauptstadt in enger Verbindung und beteiligt sich an der Auswertung der dort aufbewahrten Archivalien für die Zwecke der Sippenforschung. Ebenso unterhält der Verein freundschaftliche Beziehungen zum Pommerschen Landesmuseum, dessen Schätze immer wieder lehrreiches Material zur Stamm- und besonders auch zur Wappenkunde beisteuern, und dessen Räume ihm für seine Sitzungen zur Verfügung gestellt sind.
In dieser ausgedehnten und vielseitigen Tätigkeit erstarkte der Verein bald soweit, daß er es unternehmen konnte, die Fesseln, die ihm die Abhängigkeit vom Dresdener Mutterverein namentlich in finanzieller Hinsicht auferlegte, abzustreifen und sich auf eigene Füße zu stellen. Mit dem Schluß des Jahres 1934 trennte er sich endgiltig vom ,,Roland". Wenn er sich gleichzeitig entschloß, sich dem neu geschaffenen „Reichsverein für Sippenforschung und Wappenkunde" anzuschließen und als „Landesverband Pommern" einzugliedern, so geschah dies in grundsätzlicher Billigung der Bemühungen um den Zusammenschluß der deutschen sippenkundlichen Vereine. Dieser Zusammenschluß wurde von dem Reichsverein erstrebt und versucht auf der Grundlage einer unmittelbaren Mitgliedschaft aller angeschlossenen Vereinsmitglieder im Reichsverein, also mittelst einer 374sehr starken Zentralisation. Dieser Versuch erwies sich sehr bald als ein Fehlschlag. Nach einjährigem Bestehen löste sich der „Reichsverein für Sippenforschung und Wappenkunde" wieder auf. An seine Stelle trat der „Volksbund der deutschen sippenkundlichen Vereine", der, wie schon sein Name besagt, lediglich einen sog. Dachverband der angeschlossenen Vereine darstellt, also unter Verzicht auf direkte Mitgliedschaft der einzelnen Vereinsmitglieder nur die Vereine selbst als korporative Mitglieder zusammenschließt, ihnen aber gleichzeitig sowohl sachlich wie finanziell eine möglichst große Bewegungsfreiheit beläßt. Getreu seiner grundsätzlichen Einstellung zu den Einheitsbestrebungen auf diesem Gebiete ist die „Pommersche Vereinigung für Stamm- und Wappenkunde" auch dem neuen „Volksbund der deutschen sippenkundlichen Vereine" alsbald beigetreten und von ihm als Landesverein für die Provinz Pommern anerkannt und aufgenommen worden.
Das Arbeitsgebiet des Vereins umfaßt also die Provinz Pommern, und ihre Mitglieder, deren Zahl beständig zunimmt und z. Zt. rund 120 beträgt, verteilen sich über die ganze Provinz. Auch außerhalb derselben wohnt eine Anzahl von Mitgliedern, deren sippenkundliche Interessen in Pommern liegen.
Selbstverständlich legt der Verein auch den größten Wert darauf, mit der gesamten Provinz in enger Fühlung zu stehen. Diesem Zwecke dient ein Netz von Vertrauensleuten, das die Provinz umspannt, und dessen noch vorhandene Lücken in Kürze ausgefüllt werden, sollen. Gegenwärtig wirken als Vertrauensleute in
So ist die „Pommersche Vereinigung für Stamm- und Wappenkunde" gerüstet und bereit, überall helfend und fördernd einzugreifen. Durch Vermittlung ihrer Vertrauensleute hat sie verschiedentlich die örtliche Presse in Anspruch genommen, um auf weiteste Volkskreise belehrend und aufklärend einzuwirken. Das Interesse an der Sippenforschung braucht ja kaum noch geweckt zu werden; es ist mit dem Erstarken des Rassegefühls von selbst lebendig geworden. Aber die Schwierigkeiten beginnen, sobald praktische Forschung getrieben wird, Hier dem Anfänger den Weg zu bahnen, dem Fortgeschrittenen über den gefürchteten „toten Punkt" hinwegzuhelfen, an der einen Stelle zu raten, wie man weiter kommt, an der anderen Stelle zu warnen vor falschen Schlitten, vor überflüssiger Doppelarbeit, vor unnützen Ausgaben, bei aller Einzelarbeit aber das Gemeinwohl als oberstes Gesetz im Auge zu behalten, das ist die Aufgabe, der zu dienen die „Pommersche Vereinigung für Stamm- und Wappenkunde" zu dienen berufen ist. Zur Zeit ist